Podiumsdiskussion
Mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion präsentierten die Teilnehmer der Anne-Frank-Friedenstage 2007 im Heimatmuseum Römstedthaus in Bergen das Ergebnis ihrer Zusammenkunft. Anlässlich der deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union hatten sie sich bereits zu Hause sowie während eines dreitägigen Berlin-Aufenthaltes mit dem Thema “Europa” auseinandergesetzt.
Dabei waren die unterschiedlichen Ansichten der Teilnehmer nicht nur spannend mitzuverfolgen, sondern regten manch neuen Gedankenweg an. Und so wie an diesem Abend in der Podiumsrunde unter den Jugendlichen werden gegenseitiges Zuhören und gegenseitige Neugierde in der gesamten EU förderlich für deren Entwicklung, für neue Einsichten und Einfälle sein.
Mit den Schülern Markus Loges aus Hermannsburg, Nicholas Nowacki aus Srem (PL), Agata Zahajka aus Szubin (PL), Roland de Groot aus Hendrik-Ido-Ambacht (NL), Magdalena Grochalska aus Srem (PL) und Veronika Slezakova aus Roznov pod Radhostem (CZ) hatte sich je ein Vertreter der teilnehmenden Schulen im Podium den Fragen des Pädagogischen Leiters Artur Behr gestellt.
Herr Behr (Päd. Leiter): “Was bedeutet für Euch Europa?”
Agata (PL): “Für mich bedeutet Europa die Angehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis.”
Roland (NL): “Europa bedeutet ein gemeinsames Gebiet. Durch unsere Gemeinschaft können wir eine bessere Konkurrenzposition in der Welt einnehmen.”
Magda (PL): “Für Polen ist der Beitritt zur EU eine große Chance für die Entwicklung des Landes. Europa bedeutet: Offenheit, Novation und bessere Arbeit, was ich gleichsetze mit einer besseren Zukunft.”
Nicholas (PL): “Europa ist eine große Weltmacht, die nur in der Zusammenarbeit ihre Bedeutung hat. Außerdem ist die EU ein Friedensvertrag.”
Markus (G): “Wir können nur als Einheit stark sein, aber das ist noch ein langer Weg. Für mich ist Europa noch eine Vision.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Welche Vor- oder Nachteile haben wir durch die EU zu erwarten?”
Agata (PL): “Als Vorteil empfinde ich, dass wir im Ausland studieren und arbeiten können und dass unser Land Subventionen erhält. Aber wir haben Angst vor dem Euro, überhöhten Preisen und mehr Bürokratie.”
Roland (NL): “Dass die Grenzen offen sind und ein freier Handel und Personenverkehr möglich ist, ist ein Vorteil. Nachteilig empfinde ich, dass die neuen EU-Länder mehr Subventionen erhalten als die alten. Außerdem besteht durch die Europäische Union die Gefahr, dass einzelne Länder ihre Identität verlieren.”
Magda (PL): “Zwischen den EU-Ländern herrschen große wirtschaftliche Unterschiede. Das ist schwierig.”
Veronika (CZ): “Freies Reisen und das Recht, bei Problemen im Ausland in allen EU-Botschaften Hilfe zu bekommen, sehe ich als Vorteil. Die Einführung des Euros macht uns Angst. Leider wird die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiert.”
Nicholas (PL): “Durch die EU herrscht eine größere Konkurrenz der Produkte auf dem Markt. Das kann ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein.”
Herr Behr (Päd. Leiter) zusammenfassend: “Die Angst vor der gemeinsamen Währung haben auch wir durchgemacht. Wir können Euch die Befürchtungen nehmen, die Teuerungsrate liegt im normalen Durchschnitt der Inflation. An die Situation der geöffneten Arbeitsmärkte haben wir uns inzwischen alle sehr gewöhnt und nutzen sie gewaltig.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Das 21. Jahrhundert ist Euer Jahrhundert. Was erwartet Ihr von der EU?”
Markus (G): “Ich erwarte eine Verfassung, die traditionelle Einstellungen wie in Polen mit liberalen Einstellungen wie in den Niederlanden (Homo-Ehe, Sterbehilfe, Drogenpolitik) ohne Gleichmache in einen guten Einklang bringt.”
Agata (PL): “Wir wollen unsere Fröhlichkeit und unsere Prinzipien erhalten. Außerdem wünsche ich mir Respekt für unsere Meinung und Unterstützung in der Wirtschaftspolitik.”
Veronika (CZ): “Es herrscht die Tendenz, dass stärkere Staaten die schwächeren unterschätzen. Ich wünsche mir, dass diese Vorurteile beseitig werden.”
Magda (PL): “Ich erhoffe mir eine bessere Wirtschafts- und Arbeitssituation.”
Roland (NL): “Ich hoffe, dass der Lebensstandard in allen Ländern gesteigert werden kann und dass wir gemeinsam mit den asiatischen Wirtschaftsmächten mithalten können.”
Herr Behr (Päd. Leiter) zusammenfassend: “Ich höre bei Euch den allgemeinen Wunsch nach Gemeinsamkeit, damit Europa zu einer einheitlichen Wohlstandsgemeinschaft heranreift. Dazu sind Subventionen notwendig, denn je schneller die ärmeren Staaten sich entwickeln, umso besser können die reicheren mit ihnen Handel betreiben. Außerdem liegt es Euch am Herzen, die kulturelle Vielfalt der Werteordnung zu erhalten. Das ist gut so. Die große Vielseitigkeit Europas ist ein echter Reichtum. Es ist die Aufgabe Eurer Generation, sie zu erhalten. Das eine voranzutreiben und das andere zu erhalten, ist aber wohl die berühmte ‚Quadratur des Kreises’.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Haben sich aus der großen Ost-Erweiterung Vor- oder Nachteile ergeben?”
Nicholas (PL): “Als Nachteil sehe ich, dass die Arbeitslosenzahlen in den alten EU-Ländern gestiegen sind. In Polen verdrängen ausländische Produkte die heimischen vom Markt.”
Veronika (CZ): “Westliche Firmen, die in den Osten expandieren, bringen viele Arbeitsplätze. Für uns ist das ein Vorteil.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Das, was Ihr da beobachtet, ist die Globalisierung im Kleinen. Die Arbeits- und Produktmärkte unterliegen schweren Strukturproblemen. Habt Geduld, die Prozesse müssen sich erst entwickeln.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Wie denkt Ihr über eine weitere Erweiterung der EU?”
Markus (G): “Meiner Meinung nach sollte die Vertiefung der jetzigen EU der Erweiterung vorangehen. Weitere neue EU-Mitglieder wären momentan nicht förderlich.”
Nicholas (PL): “Ich bin für die Erweiterung, damit die EU eine Weltmacht wird, die mit Japan und den USA konkurrieren kann. Außerdem trägt eine Erweiterung der EU zur Sicherung des Weltfriedens bei.”
Agata (PL): “Ich bin für die Erweiterung: Polen hat seine Chance bekommen und andere Länder sollten sie auch bekommen.”
Magda (PL): “Ich bin auch für die Erweiterung, denn Konkurrenz belebt die Wirtschaft.”
Roland (NL): “Ich bin gegen die Erweiterung. Die EU birgt schon genug Probleme, vorrangig sollten diese gelöst werden.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Schade, dass keine Vertreter aus denjenigen Ländern am Tisch sitzen, die der EU beitreten möchten. Die Innengrenzen der EU werden immer stärker aufgelöst, aber die Außengrenzen werden immer dicker und undurchdringlicher. Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns einzuigeln. Ich habe es in China erlebt: wir werden von den anderen nur ernst genommen, wenn wir uns als EU zusammenschließen.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Seht Ihr einen Werteverlust durch die Einigung Europas? Fühlt Ihr Euch in Eurer Identität gefährdet?”
Agata (PL): “Unsere Identität geht durch die EU nicht verloren. Im Gegenteil, wir können sie jetzt auch den Anderen zeigen.”
Veronika (CZ): “Ich glaube, je mehr darüber gesprochen wird, desto stärker empfinden die Menschen ihre Traditionen und Bräuche.”
Markus (G): “Durch die EU findet eine Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen statt.”
Roland (NL): “Ja, ich habe Angst, dass wir unsere Identität verlieren und uns die Liberalität im Hinblick auf Homo-Ehe oder Sterbehilfe in der EU verwehrt wird.”
Herr Behr (Päd. Leiter): “Die große Vielseitigkeit Europas ist zugleich seine Schwäche und Stärke. Die Chance, aus der Einigung etwas zu machen, liegt vor Euch. Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Chance gut nutzt! Außerdem habt Ihr Kritik geübt, dass Europa noch nicht soweit ist, wie es sein könnte. Das liegt an den vielen Einzelheiten, die vereinheitlicht werden müssen. Doch als ich so alt war wie Ihr, war Europa wie es heute ist, absolut unvorstellbar. Mein Vater, 1901 geboren, hat in der Schule noch gelernt, die Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich sei Gott gegeben. Heute erklärt der französische Präsident, die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland sei heilig. Zwischen diesen beiden Einstellungen liegen nur ein paar Jahrzehnte und dennoch Welten.”