Das Tagebuch
>>„Ich weiß, dass ich schreiben kann. Ein paar Geschichten sind gut, meine Hinterhausbeschreibung humorvoll, vieles in meinem Tagebuch ist lebendig, aber ob ich wirklich Talent habe, das steht noch dahin.“<<
Anne Frank in ihrem Tagebuch, 5. April 1944
Heute ist Anne Frank eine weltbekannte Schriftstellerin. Ihr einziges Buch, ihr Tagebuch, ist hinter Bibel und Koran das meistgelesene Buch der Welt. Millionen Menschen erfahren so vom Schrecken der Nazi-Herrschaft, der auch Anne Frank zum Opfer gefallen ist: Das Deportationsschreiben an ihre Schwester, die detaillierten Beschreibungen des Versteckes im Hinterhaus. Der Leser kann genau nachvollziehen, wie sich das Leben der Untergetauchten abspielte.
>>„Unser Versteck ist nun erst ein richtiges Versteck geworden. Herr Kugler fand es nämlich besser, vor unsere Zugangstür einen Schrank zu stellen (…), aber natürlich einen Schrank, der drehbar ist und wie eine Tür aufgeht.“ <<
Anne Frank in ihrem Tagebuch, 21. August 1942
Anne Frank führte das Tagebuch zwischen ihrem 14. und 16. Lebensjahr (vom 12. Juni 1942 bis zum 1. August 1944). Sie, ihre Familie und einige Bekannte versteckten sich in diesem Zeitraum in einem Hinterhaus in Amsterdam (heute das Anne- Frank- Haus) vor den Nationalsozialisten, um der Deportation in ein Arbeitslager und der Ermordung zu entgehen.
Sie führte das Tagebuch, weil sie keine Freundin hatte, mit der sie über alles reden konnte, und schrieb deswegen in ihr Tagebuch an eine imaginäre Freundin: Kitty. Sie vertraute Kitty ihre sämtlichen Gedanken an, wie sich ihr Leben veränderte. Zuerst waren es ,,normale“ Wochen: Sie ging zur Schule. Im Juli dann musste sich die Familie Frank verstecken.
>>„Das Hinterhaus ist ein ideales Versteck. Obwohl es feucht und ein bisschen schief ist, wird man wohl in ganz Amsterdam, ja vielleicht in ganz Holland, kein so bequem eingerichtetes Versteck finden.“<<
Anne Frank in ihrem Tagebuch, 11. Juli 1942.
Zwei Tage nach ihrem letzten Tagebucheintrag wurde die gesamte Familie Frank festgenommen und in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Miep Gies, eine Freundin der Familie, fand das Tagebuch und hob es auf, um es später Anne zurück zu geben. Doch nur der Vater, Otto Frank, kehrte aus den Konzentrationslagern zurück. Ihm übergab sie das Buch. Bald plante er eine Veröffentlichung, auch um dem Wunsch seiner Tochter nachzukommen, als Schriftstellerin bekannt zu werden.
Die erste Veröffentlichung im Jahre 1947 beinhaltet nur die Bearbeitung ihres Tagebuchs (sog. Version A) durch den Vater. Nicht enthalten sind die Bearbeitungen von Anne Frank selbst. Ermutigt durch einen Appell von Minister Bolkestein im Radiosender der niederländischen Exilregierung in London (Radio Oranje) hatte sie das Tagebuch kurz vor ihrer Deportation überarbeitet. In seinem Appell rief Bolkestein die Bevölkerung auf, Tagebücher und Briefe aus der Zeit der Besatzung zu behalten, um sie anschließend der Weltöffentlichkeit bekannt zu machen. Also änderte Anne ihre ursprünglichen Tagebuchaufzeichnungen und Briefe im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung.
Dies ist heute als Version B bekannt. Gemäß dem Wunsch von Otto Frank fehlen einige Passagen über Annes Sexualität und Aussagen über ihre Mutter.
>>„Ich frage mich, ob man mit allen Menschen, mit denen man so lange zusammenwohnt, auf die Dauer Streit bekommt.“<<
Anne Frank in ihrem Tagebuch, 15. Januar 1944
Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1980 gab es eine dritte Veröffentlichung von der Schriftstellerin Mirjam Pressler, die alles noch einmal überarbeitete und ins englische Übersetzte. Sie fügte die fehlenden Passsagen hinzu. Diese endgültige dritte Version C wurde zum Verkaufshit und in über 55 Sprachen übersetzt. Nach der Bibel und dem Koran ist es das meist gelesene Buch auf der Welt. Es dient als Grundlage für Filme und Theateraufführungen.
>>„Für mich ist in diesem scheinbar unbedeutenden Tagebuch eines Kindes die ganze Abscheulichkeit des Faschismus verkörpert, mehr als in den gesamten Akten der Nürnberger Prozesse.“ <<
Jan Romein, Schriftsteller über das Buch
Das Tagebuch ist nicht nur Symbol für den Völkermord an den Juden durch die Nationalsozialisten, sondern auch ein Dokument der Lebenswelt eines jungen Mädchens. Es vermittelt ein eindrucksvolles Bild von ihrer Gedanken- und Gefühlswelt und nicht zuletzt von ihren Fortschritten als Schriftstellerin.