Anne-Frank-Friedenstage
Europäische Schülerinnen und Schüler begegnen Anne Frank

Dunkle Farben, bunte Heiterkeit

Collagen für die Dreisamkeit

Das dritte Reich und der Holocaust waren eine dunkle Zeit. Doch wenn sich Jugendliche aus verschiedenen Nationen in Bergen bei den Anne-Frank-Friedenstagen treffen, wird bei der künstlerischen Umsetzung des berühmten Tagebuchs viel gelacht. Eine Gruppe zeigt, dass wir bei einem bedrückenden Thema durchaus Spaß haben können.

Von Sophia Hofer

Kopf an kopf

Wiehernd wirft sie ihr blondes Haar nach hinten. Sie hält sich den Bauch, ihre Schultern beben vor lachen. Der große Junge mit den Ohrsteckern schaut sie halb vorwurfsvoll, halb belustigt an. Das blonde Mädchen nimmt den Bleistift wieder in die Hand und setzt ihn auf dem braunen Papier an. Doch noch bevor sie ein Strich gezeichnet hat, muss sie wieder lachen. Auch der große Junge und ein weiterer, etwas schüchterner mit kurzem, schwarzem Haar grinsen. In der Mitte des Skizzenpapiers prangt der Davidstern. Darunter marschieren dunkle Schattengestalten mit Gewehren in das Bild.

Es ist mitten im Juni und das Mädchen und die beiden Jungs sind Teilnehmer der Anne-Frank-Friedenstage. Jugendliche aus Tschechien, Polen, Wales und den Niederlanden sind nach Bergen gereist. Auch Schüler aus dieser Stadt sowie dem Nachbarort Hermannsburg nehmen teil. Zwischen Fachwerkhäusern und KZ sollen sie sich künstlerisch mit dem Tagebuch von Anne Frank auseinander setzen – ¨In Farbe gebracht¨. Und sie sollen sich über Grenzen hinweg besser kennen lernen.

Kulturenkomposition…

Das blonde Mädchen heißt Natalia, sie kommt aus Polen und bildet gemeinsam mit dem englischstämmigen Dale und dem ruhigen Tschechen Thomas eine von elf weiteren Dreiergruppen, die Auszüge des wohl berühmtesten Tagebuchs in einer Collage verarbeiten. Im kleinen Saal des Stadthauses sind Tische zusammengeschoben, um die die Schüler mit Stift und Papier herumwuseln. Große Leinwände liegen noch unbefleckt auf den Tischen, während die Jugendlichen in ihren Gruppen Ideen diskutieren und skizzieren. Auch Natalia, Dale und Thomas sind fleißig am arbeiten, in Englisch tauschen sie Vorschläge aus und geben sich gegenseitig Anweisungen. In ihrer Collage setzen die drei Jugendlichen sich mit der Sinnlosigkeit des Krieges auseinander.

¨Bei dem Thema hatten wir sofort ganz viele Ideen¨, erklärt Dale. Der große Junge mit den Ohrsteckern erzählt weiter: ¨Natalia hatte das Zitat vorgeschlagen.¨ Ein aus Anne Franks Tagebuch, das das Thema der Collage vorgibt: ¨Ich habe meine Angst vor Schießereien und Flugzeugen noch nicht abgelegt und liege fast jede Nacht bei Vater zu Bett, um Trost zu suchen¨.

¨Das hat uns drei sofort angesprochen. Deshalb haben wir uns auch zu einer Gruppe zusammen getan¨, sagt Dale.

…und Kommunikationskonflikte

Natalia malt Natalia skizziert Otto Frank.

Bei den anderen Gruppen sieht es anders aus: Drei Mädchen arbeiten am Tisch nebenan an einer Collage, in der sie die typischen Probleme eines pubertierenden Mädchen abbilden. Tereza kommt aus Tschechien, die anderen zwei sind aus Polen. In ihrer Muttersprache erklärt Tereza den beiden Mädchen, was sie tun sollen. Sie nicken vage. ¨Die Polinnen können weder deutsch noch englisch, aber tschechich ist dem Polnischen sehr ähnlich¨, erläutert Tereza. Sie wirft ein Blick über die Schulter zu ihren Gruppenmitgliedern, beobachtet kurz und greift ein. Verzweiflet gestikuliert sie und versucht den Polinnen unmissverständlich klar zu machen, was sie zeichnen sollen. Die zwei goldblonden Mädchen nicken wieder vage. ¨Sie machen immer das Gegenteil von dem, was ich sage¨, seufzt Tereza frustiert.

Kommunikation stellt für Dale, Thomas und Natalia jedoch kein Problem dar. Thomas lernt seit vier Jahren Deutsch und für Dale, dessen Vater Britte ist, ist englisch seine zweite Muttersprache. Und falls jemanden doch einmal die Worte fehlen, wird mit Mimik und Gestik erklärt. Und wenn alles schief geht lachen sie die Barrieren einfach weg. In keiner anderen Gruppe ist die Stimmung so heiter wie zwischen Dale, Thomas und Natalia. Vor allem dem blonden Mädchen stehen die Lachtränen in den braunen Augen. ¨Ich versuche ständig zu arbeiten, aber dann lachen die Jungs immer¨, beschwert sich Natalia und wirft Dale einen gespielt bösen Blick zu. Dale grinst zurück und erwidert empört: ¨Gar nicht, du lachst doch die ganze Zeit.¨

Sie necken sich wie zwei Teenager am Anfang des Verliebtseins, hätte Natalia nicht einen Freund.

Mit einem Augenzwinkern in Richtung Natalia sagt Dale: ¨Sie ist der Boss.¨ Thomas steht daneben, die Farbpalette in der Hand, mit leichten Pinselschwüngen zieht er die Linien des Davidsterns nach. Dale behält den Überblick und koordiniert die Ideen.

Im Gegensatz dazu malt und kleckst Tereza zwei Tische weiter konzentriert auf der Leinwand, während die beiden polnischen Mädchen in der Ecke sitzen und schwatzen. Sie schenken Terezas künstlerichen Aktivitäten keinerlei Beachtung. Später wird die Tschechien die Collage als ¨ihr Werk¨ bezeichnen.

¨Spaß beiseite, Ernst kommt¨

Natlia hat derweilen versucht, Otto Frank zu skizzieren. ¨Was ist das?¨, fragt Dale stark irritiert und zeigt auf das Strichmännchen mit dem Zylinder, das die verdrehte Haltung einer ägypischen Figur hat. ¨So, jetzt aber mal Ernst!¨, rügt Dale. Denn trotz des ganzen Spaßes, ist es ein Thema von schwerer Traurigkeit, das die Jugendlichen malend, zeichnend und klebend verarbeiten.

¨Manchmal war ich schon ein bisschen bedrückt und musste daran denken, wie schrecklich das damals im zweiten Weltkrieg eigentlich war¨, gesteht der Tscheche Thomas. Trotzdem ist Natalia davon überzeugt, dass die Traurigkeit des Themas nicht die Freude bei der Arbeit ausschließe. ¨Ich bin ein fröhlicher Mensch¨ macht sie deutlich und beugt sich über die Leinwand, das Zitat über Angst und der Suche nach Zuflucht liegt vor ihr – auf deutsch. Mit zarter, weiblicher Schrift übernimmt sie Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort. Dale stellt sich neben sie, hilft ihr. ¨Jede Nacht¨, liest er vor. Ihr Köpfe berühren sich. Beinahe.

Leave a Response